Unsere Väter haben gesündigt, sie sind nicht mehr. Wir aber tragen ihre Schuld.
Klagelieder 5,7
Was geht mich das an? – Jedes Mal, wenn ich Reisegruppen durch Yad Vashem, die nationale Holocaust-Gedächtnisstätte in Jerusalem, begleitet hatte, wenn ich in Deutschland und Frankreich KZ-Gedächtnisstätten besucht hatte, war ich trotz der „Gnade meiner späten Geburt“ bis ins Tiefste erschüttert angesichts des millionenfachen Leides, das meine Vorfahren dem Volk Gottes und anderen Menschen zugefügt hatten. Noch aufgewühlter war ich, wenn ich von anderen Mitreisenden zu hören bekam: Was geht mich das an? Was habe ich damit zu tun?
Dabei hatte ich schon in den Berichten meiner Großeltern verspürt, wie groß das Versagen der schweigenden Mehrheit meines Volkes war,
als Menschen in ihrer Umgebung plötzlich angefeindet, misshandelt, verfolgt und „weggebracht“ wurden. Nicht alle Jünger Jesu haben nach dem Ende des sog. Dritten Reiches ihre Schuld bekannt, solchem
Unrecht nicht gewehrt zu haben.
Jeremia bekennt mit seinem Volk, dass die Väter wirtschaftliche und politische Unterstützung in Assyrien und Ägypten gesucht hatten, anstatt alle Hilfe von ihrem Gott zu erwarten, wie sie es früher
getan hatten: „Nur er ist mein Fels und meine Hilfe, meine Festung“ (Ps 62,7). „Zu dir schrien sie um Hilfe und wurden gerettet; sie vertrauten auf dich und wurden nicht zuschanden“ (Ps 22,6). Diese
schmachvolle Lage nach dem Fall Jerusalems war eine Notlage, in der sie die Sünden der Väter büßten (vgl. 2Mo 20,5) und die in vielen Dingen mit dem Zustand unserer Gesellschaft heute zu vergleichen
ist. Mit Jeremia beteten die Frommen: „Bring uns zurück, HERR, zu dir, dass wir umkehren“ (v21).
fw - Dillenburger Kalender 22.07.2012